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Die gesetzliche Neuregelung zur Zwangsbehandlung – In welchen Fällen bringt Sie wirklich neue Rechtssicherheit ? | 07.05.2013
Im vergangenen Juni sorgte eine Entscheidung des Bundesgerichtshof zum Thema Zwangsbehandlung für erhebliche Rechtsunsicherheit.
Mit Entscheidung vom 20.06.2012 (Az.: XII ZB 236/05) hatte der Bundesgerichtshof die bis zu diesem Zeitpunkt bestehende Rechtsgrundlage als nicht ausreichend für die Durchführung von Zwangsbehandlungen erachtet. Das Gericht stellte fest, dass ein Mensch gegen seinen Willen nur unter sehr engen gesetzlichen Voraussetzungen behandelt werden darf. Eine ausreichende gesetzliche Grundlage lag aber nach Ansicht der Richter nicht vor. Dies führte dazu, dass Ärzte sehenden Auges eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes eines Patienten hinnehmen mussten, wenn dieser nicht selbst in die Behandlung einwilligte.
Auf diese Entscheidung reagierend wurde der Gesetzgeber aktiv und gestaltete eine gesetzliche Regelung für Zwangsbehandlungen gegen den Willen des Patienten. Für eng begrenzte Fälle wurde durch Neugestaltung des § 1906 BGB eine gesetzliche Grundlage geschaffen, um Zwangsbehandlungen zum Wohle des Patienten auch gegen seinen Willen möglich zu machen:
Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung ist zunächst, dass der Patient „aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann“. Der Patient muss daher einwilligungsunfähig sein. Eine objektiv sinnvolle Behandlung, die ein einwilligungsfähiger Patient verweigert, kann auch durch die neue gesetzliche Regelung nicht gerechtfertigt werden.
Ferner muss nach dem Willen des Gesetzgebers zuvor versucht worden sein, den einwilligungsunfähigen Patienten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen. Stimmt der einwilligungsunfähige Patient zu, handelt es sich nicht mehr um eine Zwangsmaßnahme. In diesem Fall genügt die Zustimmung des Betreuers ggf. mit Genehmigung des Betreuungsgerichts nach § 1904 BGB bei schweren ärztlichen Eingriffen.
Stimmt der nicht einwilligungsfähige Patient dagegen einer Behandlung nicht zu, darf die Behandlung nur unter folgenden zusätzlichen Voraussetzungen dennoch im Rahmen einer stationären Unterbringung nach § 1906 BGB veranlasst werden:
Es muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein, d.h. es darf keine andere dem einwilligungsunfähigen Patienten (Betreuten) zumutbare Maßnahme geben, mit der der drohende erhebliche gesundheitliche Schaden abgewendet werden kann.
Schließlich muss der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegen.
Liegen diese Voraussetzungen vor, darf die Zwangsbehandlung durchgeführt werden, wenn der Betreuer einwilligt und eine Genehmigung des Betreuungsgerichts nach § 1906 Abs.3a BGB vorliegt.
Die Neuregelung umfasst aber in jedem Fall nur den Bereich der stationären Unterbringung. Ambulante Behandlungen können auf dieser Rechtgrundlage nicht gegen den Willen des nicht einwilligungsfähigen Patienten durchgeführt werden. Soweit die PsychK-Gesetze der Länder keine Zwangsbehandlung ermöglichen, sind ambulante Zwangsbehandlungen nach wie vor nicht spezialgesetzlich abgesichert. Sie sind dann allenfalls im Rahmen des sogenannten „rechtfertigenden Notstands“ nach § 34 StGB zu rechtfertigen:
Die Regelung des rechtfertigenden Notstands in § 34 StGB legt fest, dass eine grundsätzlich verbotene Tat, dann nicht rechtswidrig und damit strafbar ist, wenn sie durchgeführt wird, um eine Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, soweit bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Übertragen auf den Bereich der Zwangsbehandlung bedeutet dies Folgendes:
Grundsätzlich liegt eine strafbare Körperverletzung vor, wenn ein Arzt, ohne Einwilligung des Patienten eine Behandlung bei diesem durchführt. Wenn die Situation sich aber so darstellt, dass für den Patienten eine bestimmte Behandlung durchgeführt werden muss, um z.B. sein Leben zu erhalten, wird ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit jedenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn die damit
einhergehenden Risiken geringer zu bewerten sind.
Ein klassisches Beispiel wäre hier die Ruhigstellung mit Arzneimitteln, wenn die Gefahr besteht, dass ein Patient sich selbst tötet oder schwer verletzt.
Leider hat der Gesetzgeber für diese Fälle keine den rechtfertigenden Notstand ergänzende Regelungen geschaffen, die Ärzten z.B. im Rahmen der ambulanten Behandlung Rechtssicherheit geben könnten.
IK