Kanzlei Kuhlen
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Gefahr einer Retaxation ? – Zuzahlung in der Schwangerschaft | 22.03.2023
Wenn in der Apotheke eine schwangere Frau über Arzneimittel beraten werden möchte, ist schon aus pharmazeutischen Gründen größte Sorgfalt erforderlich, um alle Risiken für die werdende Mutter und das ungeborene Kind angemessen zu berücksichtigen. Sofern eine ärztliche Verordnung vorliegt, ist es für den Apotheker zumindest in pharmazeutischer Hinsicht zumeist einfacher. Jedoch kommen dann wichtige Aspekte der Verordnungsfähigkeit und zur Zuzahlung hinzu, die ebenfalls sorgfältig zu bewerten sind, um ein Retaxrisiko möglichst auszuschließen:
Nicht selten hört man die irrige Annahme, dass bei Frauen während der Schwangerschaft eine gesetzliche Befreiung von der Zuzahlung greife. Der Gesetzgeber hat diese Befreiung aber nur für Leistungen vorgesehen, die im Zusammenhang mit der Schwangerschaft stehen. Wörtlich heißt es in § 24e SGB V:
„Die Versicherte hat während der Schwangerschaft und im Zusammenhang mit der Entbindung Anspruch auf Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln. Die für die Leistungen nach den §§ 31 bis 33 geltenden Vorschriften gelten entsprechend; bei Schwangerschaftsbeschwerden und im Zusammenhang mit der Entbindung finden § 31 Absatz 3, § 32 Absatz 2, § 33 Absatz 8 und § 127 Absatz 4 keine Anwendung.“
Da die Anwendbarkeit von § 31 Abs.3 SGB V, der die Verpflichtung der Versicherten zur Leistung einer Zuzahlung ab dem vollendeten 18. Lebensjahr vorsieht, durch diese Regelung ausgeschlossen wurde, dürfen bei der Abgabe von Arzneimitteln zu Lasten der GKV keine Zuzahlungsbeträge erhoben werden, wenn ein solcher Zusammenhang mit der Schwangerschaft besteht.
Weil ein Zusammenhang zwischen der Schwangerschaft und der Notwendigkeit, das Arzneimittel einzunehmen, nicht besteht, wenn eine Erkrankung bereits vor Eintritt der Schwangerschaft vorhanden war, kann in diesem Fall auch keine gesetzliche Befreiung von der Zuzahlungspflicht einschlägig sein.
Klassische Beispiele für einen Versorgungsbedarf im Zusammenhang mit der Schwangerschaft sind Eisenmangelanämie und Gestationsdiabetes. In diesen Fällen besteht eine Befreiung von der Zuzahlungspflicht. Lag dagegen eine Diabetes schon vor, bevor die Schwangerschaft eingetreten ist, besteht auch die Verpflichtung zur Leistung von Zuzahlungen weiterhin. Eine Befreiung kommt dann nicht in Betracht.
Es kommt daher gar nicht selten vor, dass Schwangere mehrere Rezepte gleichzeitig einlösen, von denen nur ein Teil als von der Zuzahlung befreit deklariert ist. Ob die Verordnungen jeweils korrekt ausgestellt sind, muss dann im Einzelfall überprüft werden.
Die Überprüfung kann im Einzelfall eine Rücksprache mit dem verordnenden Arzt erfordern, da dieser die Indikation nicht auf dem Rezept vermerken muss. Soweit der Status vom Arzt falsch angekreuzt wurde, kann die Apotheke dies auf dem Rezept vermerken und so die Befreiung von der Zuzahlungspflicht dokumentieren. Die Änderung muss jeweils mit Datum und Kürzel des/der Abgebenden auf dem Rezept vermerkt werden.
Die Apotheke ist im Zweifel vor einer Retaxation geschützt, wenn sie sich nach dem angekreuzten Gebührenstatus richtet. Nur in Rücksprache mit dem behandelnden Arzt sollten Abweichungen ermöglich werden, da ohne diesen nicht zweifelsfrei geklärt werden kann, ob die Verordnung im Einzelfall schwangerschaftsbedingt und dadurch von der Zuzahlung befreit ist oder eine Zahlung der Zuzahlung erfolgen muss.
Eine Prüfpflicht des Apothekers, ob auf einem Rezept fälschlicherweise das »Gebühr frei«-Feld angekreuzt wurde, besteht im Regelfall nicht. Die Krankenkasse darf fehlerhaft nicht geltend gemachte Zuzahlungen daher der Apotheke gegenüber nicht retaxieren. Nur wenn im Rahmen eines Arzneimittelliefervertrages eine entsprechende Verpflichtung geregelt wurde, würde im Einzelfall etwas Anderes gelten.
Eine Befreiung von der Zuzahlung kann nicht nur für Arzneimittel, sondern auch für Verbandmittel, Medizinprodukte mit Arzneimittelcharakter, Heilmittel und Hilfsmittel bestehen.
Von der Zuzahlung zu differenzieren sind die sog. Mehrkosten. Das sind Kosten, die anfallen, wenn der Preis eines Arzneimittels über einem GKV-Festbetrag liegt. Diese Mehrkosten müssen Schwangere ebenso wie andere von der gesetzlichen Zuzahlung befreite Versicherte selbst zahlen.
Schließlich kann es Sonderkonstellationen geben, in denen normalerweise nicht erstattungsfähige Produkte im Rahmen einer Schwangerschaft als sog. „freiwillige Satzungsleistung“ von der jeweiligen Krankenkasse bezahlt werden. Insoweit gibt es aber keine gesetzlichen Vorgaben Die individuell geltenden Bedingungen sollte die Kundin mit Ihrer Krankenkasse direkt klären. Sinnvoll ist es in einem solchen Fall, einen mit dem Namen der Kundin versehenen Kassenbeleg auszustellen, damit ggf. eine nachträgliche Erstattung von Satzungsleistungen möglich ist.
IK