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Medizinische Notfallsituation im Flugzeug. Was ist zu beachten? | 11.04.2022

Vorab ist zunächst zu klären, welches Recht überhaupt bei einem medizinischen Zwischenfall „über den Wolken“ anwendbar ist.

Aus Artikel 11 des Chicagoer Abkommens aus dem Jahr 1944 ergibt sich, dass – sofern sich ein Flugzeug in der Luft befindet – bezüglich der Luftverkehrsvorschriften das Recht des Staates gilt, über dem sich das Flugzeug befindet.

Für die Passagiere ist neben den Luftverkehrsvorschriften insbesondere relevant, welche straf- und zivilrechtlichen Bestimmungen (z.B. bei Straftaten oder der Geburt eines Kindes) an Bord eines Flugzeuges anwendbar sind.

Grundsätzlich gilt im Bereich des öffentlichen Rechts, des Strafrechts sowie des Zivilrechts das Territorialitätsprinzip. Dies bedeutet, dass das Recht eines Staates innerhalb dessen Landesgrenzen anwendbar ist.

Gerade an Bord von Flugzeugen im internationalen Luftverkehr ist dies oft nicht praktikabel, da bei einem Flug quer durch Europa z.B. zunächst portugiesisches Recht, dann spanisches Recht, später französisches Recht und schließlich deutsches Recht während eines einzigen Fluges anwendbar wäre. Hinzu kommt, dass Flüge zum Teil über dem offenen Meer verlaufen, so dass es sich nicht um Luftraum eines bestimmten Staates handelt.

Daher greift man in der Luftfahrt gern auf das „flag right“ zurück. Das bedeutet, dass das Rechtssystem des Landes anwendbar ist, unter dessen Flagge das Flugzeug bzw. die Luftfahrtgesellschaft registriert ist: Bei United Airlines also das Recht der USA, bei Lufthansa das Recht der Bundesrepublik Deutschland.

In vielen Ländern gelten Gesetze, die zur Notfallhilfe verpflichten. Wer in Deutschland eine medizinisch notwendige Hilfeleistung (nach einem Unglücksfall) verweigert, macht sich nach § 323 c des Strafgesetzbuches (StGB) strafbar. Ärzte, Pflegekräfte, medizinisches Personal ebenso wie auch gewöhnliche „Mitreisende“ müssen daher, jeder nach seinen Fähigkeiten, im Rahmen des Erforderlichen und Zumutbaren, diejenige Hilfe leisten, die den Eintritt weiterer Schäden verhindert.

Folglich können sich auch ein Arzt oder eine medizinische ausgebildete Person, die sich trotz einer entsprechenden Durchsage nicht bei der Crew melden, nach § 323 c StGB strafbar machen.

Das Gesetz sieht hier eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe vor.

Ähnliche Gesetze zur Notfallhilfe gelten im Übrigen auch beispielsweise in Frankreich, Australien, vielen asiatischen Ländern oder dem mittleren Osten.

Hinzuweisen ist darauf, dass Ärzte oder medizinische ausgebildete Personen selbst beurteilen müssen, ob sie in der Lage sind, Hilfe zu leisten. Alkoholkonsum oder die Einnahme von bestimmten Medikamenten können dazu führen, dass der betreffende Arzt oder eine medizinische ausgebildete Person nicht oder nicht in vollem Umfang zur Hilfeleistung geeignet ist.

Wie weit konkret die zumutbaren Pflichten des Arztes/der medizinisch ausgebildeten Person im Einzelfall reichen, kann jedoch variieren. So wird von einem praktizierenden Facharzt für Kardiologie bei einem Herzinfarkt sicher mehr erwartet, als z.B. von einem Psychologen, Pathologen oder pensionierten Dermatologen. Dagegen kann von diesen wiederum mehr erwartet werden als von einem ärztlich noch unerfahrenen Medizinstudenten.

Es gibt aber auch eine Reihe von Ländern, deren Gesetze nicht zur Notfallhilfe verpflichten. So sind z.B. nach britischem, kanadischem und amerikanischen Recht Ärzte nicht verpflichtet, bei medizinischen Zwischenfällen an Bord zu unterstützen, es sei denn, es liegt eine vorbestehende Arzt- Patienten- Beziehung vor.

Folglich sollten Ärzte und medizinisch ausgebildete Personen im Hinblick auf eine verpflichtende Notfallhilfe darauf achten, mit welcher Fluggesellschaft sie fliegen und im Vorfeld prüfen, inwieweit eine solche besteht.

Haftungsrechtlich ist auf Folgendes hinzuweisen:

Um helfenden Ärzten bzw. medizinisch ausgebildeten Personen an Bord jegliche rechtliche Unsicherheit zu nehmen, wurde bereits 1998 in den USA der Aviation Medical Assistance Act (AMAA) beschlossen. Dieser schützt die Passagiere, die Hilfe leisten, vor Haftungsansprüchen. Davon ausgenommen sind Fälle grober Fahrlässigkeit oder bewusster Fehlbehandlung.

Außerhalb der USA haben zahlreiche Fluggesellschaften, wie z.B. die Lufthansa, Ärzte und sonstige Hilfeleistende als Mitversicherte in ihrer Haftpflichtpolice einbezogen. Hieraus ergibt sich im Falle einer Klage, dass die Haftpflichtversicherung der Fluggesellschaft Prozessführung, Prozesskosten und eventuelle Schadenersatzleistungen vornimmt, sofern kein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln des Hilfeleistenden vorliegt.

Bei anderen Fluggesellschaften wird häufig – ggfs. nach Aufforderung - eine sog. „Enthaftungserklärung“ von der Kabinenbesatzung ausgehändigt, wodurch der handelnde Arzt / die medizinisch ausgebildete Person – wiederum mit Ausnahme von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit – bei der Durchführung seiner Tätigkeit versichert ist.

Zur medizinischen Ausrüstung an Bord ist auf Folgendes hinzuweisen:

Es gibt gesetzliche Anforderungen an die medizinische Ausrüstung, die an Bord eines kommerziellen Flugzeugs mitgeführt werden muss. Die Norm wird von der zuständigen Luftfahrtbehörde festgelegt: der Federal Aviation Administration (FAA) in den Vereinigten Staaten und der European Aviation Safety Agency (EASA) in Zusammenarbeit mit dem Joint Aviation Authorities (JAA) in Europa.

In der Regel ist die Ausstattung für grundlegende medizinische Maßnahmen, zum Stillen von Blutungen und zur intravenösen Verabreichung von Medikamenten oder Flüssigkeiten vorhanden.

Europäische Fluggesellschaften, die in die USA fliegen, müssen sowohl die Anforderungen der FAA als auch der JAA erfüllen, d.h. zusätzlich zu den europäischen Vorschriften muss mitgeführt werden:

- automatischer externer Defibrillator

-Infusionssystem inklusive Kochsalzlösung

- Beatmungsbeutel

Sofern ein Arzt Medikamente im Notfallkoffer nicht identifizieren kann oder die Anamnese aufgrund von sprachlichen Verständigungsproblemen schwierig sein sollte, ist die Kommunikation mit der Crew, ggfs. auch die Zuhilfenahme Dritter, die übersetzen können, besonders wichtig, um angemessen helfen zu können. In jedem Fall aber ist ein „Handeln nach bestem Wissen und Gewissen“ besser als „nichts tun“.

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RK