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Existenzvernichtende Regresse konnten verhindert werden | 22.12.2015

In den letzten Monaten sorgte ein Hausarzt aus Lindlar mit seinem Kampf gegen Arznei- und Heilmittelregresse im Fernsehen und in den Printmedien für großes Aufsehen.

Nach einer jahrelangen Auseinandersetzung mit dem Beschwerdeausschuss wurde jüngst vor dem SG Düsseldorf einen Vergleich geschlossen. Damit konnten existenzvernichtende Regresse verhindert werden.

Was genau war geschehen?

Mit Widerspruchsbescheiden aus den Jahren 2012 und 2013 bestätigte der Beschwerdeausschuss die zuvor von der Prüfungsstelle festgesetzten Regresse für den Richtgrößenregress Arznei für das Jahr 2009 sowie für den Richtgrößenregress Heilmittel 2010. Der Richtgrößenregress – Heilmittel – für das Jahr 2009 wurde auf einen mittleren fünfstelligen Betrag reduziert.

Gegen diese drei Widerspruchsbescheide erhob der betroffene Arzt Klage zum SG Düsseldorf.

Vor dem Beschwerdeausschuss anhängig waren bis zuletzt noch die von der Prüfungsstelle festgesetzten Richtgrößenregresse betreffend den Arzneimittelverordnungen für die Jahre 2010, 2011 und 2012 sowie den Heilmittelverordnungen für das Jahr 2011.

Zusammengefasst belief sich die Regresssumme für sämtliche vor dem SG Düsseldorf und vor dem Beschwerdeausschuss rechts- bzw. anhängigen Verfahren auf einen mittleren sechsstelligen Betrag.

Vorgeworfen wurde dem betroffenen Arzt, dass sein Verordnungsverhalten sowohl im Arzneimittel– als auch im Heilmittelbereich unwirtschaftlich sei und dass deshalb Regresse in der genannten Höhe festzusetzen seien.

Im Rahmen der Widerspruchs- bzw. Klageverfahren wurden zahlreiche Argumente ins Feld geführt, die erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der festgesetzten Regresse hervorriefen:

1.

So war im Arzneimittelbereich bereits die Datenlage in mehrfacher Hinsicht erkennbar fehlerhaft.

Schon die ausgewiesenen Bruttoverordnungskosten konnten nicht den tatsächlichen Verordnungskosten entsprechen, weil die Berücksichtigung der Rabattarzneimittel erst bei der Regresssumme erfolgte. Zur Erläuterung:

In die Bruttoverordnungskosten bei den Prüfungen im Bereich der KV Nordrhein fließen nicht die Kosten der tatsächlich vom Arzt verordneten (rabattierten) Arzneimittel ein, sondern der komplette Apothekenverkaufspreis des jeweiligen Arzneimittels, allerdings ohne Berücksichtigung des Rabattes. Dies mag für die Prüfgremien die einfachere Art der Berechnung sein, sie wirkt sich jedoch massiv zum Nachteil des Arztes aus.

Nach korrekter Auffassung müsste man aber die Rabatte dort berücksichtigen, wo sie auch originär entstanden sind, also bei den Bruttoverordnungskosten und nicht erst später beim Regress. Es konnte aufgezeigt werden, dass eine Berücksichtigung der Rabattarzneimittel bei den Bruttoverordnungskosten in jedem einzelnen Arzneirichtgrößenregress dazu geführt hätte, dass – mangels Überschreitung des Richtgrößenvolumens - überhaupt kein Regress ausgesprochen hätte werden dürfen. Dagegen führte die von den Prüfgremien vorgenommene Berücksichtigung der Rabattarzneimittel bei der Regresssumme lediglich zu einer Reduzierung des bereits festgesetzten Regresses.

Des Weiteren konnte nachgewiesen werden, dass weitaus mehr Symbolziffern bzw. Praxisbesonderheiten hätten berücksichtigt bzw. anerkannt werden müssen als tatsächlich berücksichtigt wurden. Insoweit wurden von dem betroffenen Arzt die 100 teuersten Fälle, die sich auf den von den Prüfgremien übermittelten CDs zumeist auf den ersten 700 Seiten befanden, überprüft. Dabei wurde in zahlreichen Fällen exakt beschrieben, aufgrund welcher Indikation, welche Praxisbesonderheiten über die bereits berücksichtigten Praxisbesonderheiten hinaus weiterhin Berücksichtigung hätten finden müssen. Im Rahmen dieser „Top-100-Liste“ wurde auch konkret der Eurobetrag genannt, der als „weitere Praxisbesonderheit“ hätte berücksichtigt werden müssen. Allein bei adäquater Berücksichtigung der weiteren nachgewiesenen Praxisbesonderheiten hätten die festgesetzten Regresse bereits deutlich reduziert, wenn nicht sogar komplett aufgehoben werden müssen.

Hinzu kam, dass der betroffene Arzt sowohl nach den Unterlagen der Prüfgremien als auch nach seinen eigenen Unterlagen bei den berücksichtigten Praxisbesonderheiten (Symbol-Nr. bzw. Praxisbesonderheiten aufgrund einer bestimmten Indikation) weitaus mehr Arzneimittel in diesen Indikationsbereichen verordnet hat, als in den Bescheiden ausgewiesen wurden. Dies allein betrachtet, hätte ebenfalls zu einer erheblichen Reduzierung des Regressbetrages führen müssen.

2.

Im Rahmen der Widerspruchsbegründung für die Richtgrößenregresse Heilmittel - wurde ebenfalls anhand einer von dem betroffenen Arzt erstellten „Top-100-Liste“ nachgewiesen, dass weitaus mehr Praxisbesonderheiten – als die bereits berücksichtigten Praxisbesonderheiten - hätten berücksichtigt werden müssen. Auch hier wurde in zahlreichen Fällen exakt beschrieben, aufgrund welcher Indikation, welche - nicht berücksichtigten - Praxisbesonderheiten vorlagen. Auch hier wurden die weiteren als Praxisbesonderheit zu berücksichtigenden Kosten exakt in Euro beziffert. Bei adäquater Berücksichtigung dieser „Top-100-Liste“ und den sich hieraus ergebenden Schlussfolgerungen, hätten auch diese Regresse deutlich reduziert, wenn nicht sogar komplett aufgehoben werden müssen.

3.

In beiden Verfahren wurde außerdem auf die Besonderheiten der Praxis hingewiesen. So wurde unter Vorlage zahlreicher Patientenvorstellungen auf die schmerztherapeutische Ausrichtung der Praxis und die Vielzahl von schwerwiegenden orthopädischen Krankheitsbildern hingewiesen.

Besonders wurde auf die Betreuung zahlreicher Patienten in Altenheimen und Behinderteneinrichtungen, die an schweren psychischen und physischen Krankheiten leiden, hingewiesen. In diesem Zusammenhang erfolgte auch ein weitergehender Hinweis auf § 2 a SGB V, wonach den besonderen Belangen Behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen ist sowie ein Hinweis auf § 27 Abs. 1 Satz 3 SGB V, wonach bei der Krankenbehandlung den besonderen Bedürfnissen psychisch kranker Rechnung zu tragen ist, insbesondere bei der Versorgung von Heilmitteln.

4.

Letztendlich wurde vor dem SG Düsseldorf ein Vergleich dahingehend geschlossen, dass die festgesetzten Regresse auf einen knapp sechsstelligen Betrag reduziert werden.

Nach wie vor geht der betroffene Arzt – mit guten Argumenten - davon aus, dass die Regresse aufgrund der vorgetragenen juristischen und medizinischen Ausführungen noch weiter reduziert hätten werden müssen, wenn nicht sogar komplett hätten aufgehoben werden müssen.

Letztendlich entschied er sich auch aus rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten zum Abschluss eines Vergleiches.

Dabei fiel vor allem ins Gewicht, dass Klagen gegen Bescheide des Beschwerdeausschusses keine aufschiebende Wirkung haben, woraus folgt, dass die Bescheide „vollzogen“ werden können. Infolgedessen wurden dem betroffenen Arzt ab dem Zeitpunkt der Klageerhebung jeden Monat empfindlich hohe Teile von seinem Honorar einbehalten, was sich auf die Liquidität der Praxis zunehmend negativ auswirkte. Die damit verbundenen finanziellen und emotionalen Belastungen wollte er sich und seiner Familie, aber auch den Angestellten seiner Praxis und den Patienten nicht weiter zumuten.

Tragisch ist, dass einem Arzt letztendlich aus wirtschaftlichen Zwängen die Möglichkeit genommen wurde, seine Rechte „bis zur letzten Instanz“ geltend zu machen.

In diesem Punkt sollte der Gesetzgeber in die Pflicht genommen werden, um zu überprüfen, ob die bisherige Regelung bei laufenden Verfahren sachgerecht ist. Aktuell muss ein Arzt, der sich gegen einen Regress zur Wehr setzen will, den Regress nach Abschluss des außergerichtlichen Verfahrens zunächst komplett oder ratenweise zahlen. Erst wenn er - unter Umständen erst letztinstanzlich - vor Gericht erfolgreich war, bekommt er das Geld erstattet. Anscheinend gilt für Ärzte nicht das Unschuldsprinzip, dass eine Person solange als unschuldig gilt, bis seine Schuld nachgewiesen ist. Dies sollte der Gesetzgeber kurzfristig ändern. Sinnvoll wäre eine Regelung, dass vom Beschwerdeausschuss festgesetzte Regresse erst dann komplett oder ratenweise vollzogen werden können, wenn rechtskräftig, also ggfs. nach einer letztinstanzlichen gerichtlichen Überprüfung, eine bestimmte Regresssumme feststeht.

Darüber hinaus hat anscheinend auch der Gesetzgeber erkannt, dass die Richtgrößenprüfverfahren – nicht zuletzt aufgrund ihrer weiten finanziellen Tragweite – insgesamt in der gewohnten Form nicht beibehalten werden können. Die aktuell geltende Regelung hinsichtlich der Prüfung der Wirtschaftlichkeit von ärztlich verordneten Leistungen soll nach dem Willen des Gesetzgebers ab dem Jahr 2017 nicht mehr gelten. Ob das, was danach kommt jedoch für die Ärzte besser sein wird, bleibt abzuwarten, da die Wirtschaftlichkeitsprüfung regionalisiert werden soll. Ab dem Jahr 2017 sollen die KVen sowie die Krankenkassen Vereinbarungen treffen, auf deren Grundlage die Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Tätigkeit geprüft wird. Dabei sollen vor allem wesentliche Merkmale der jetzigen Wirtschaftlichkeitsprüfung (Beratung vor Regress, statistische Prüfmethoden, Praxisbesonderheiten) aufgegriffen werden.

Es steht zu befürchten, dass vor allem die Probleme bei der Beweislast von Praxisbesonderheiten und die fehlende Transparenz bei der Datenlage weiter zu Lasten des Arztes ungelöst bleiben.

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RK