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„Blindes Vertrauen“ in eine ärztliche Verordnung ist gefährlich ! | 30.08.2013

Die Beratungsfunktion des Apothekers tritt zunehmend in den Mittelpunkt unserer Tätigkeit. Unsere Verpflichtung zur Beratung des Kunden über die Arzneimittel ist inzwischen auch in § 20 der Apothekenbetriebsordnung verankert.

Eine aktuelle Entscheidung des OLG Köln (Entscheidung vom 07.08.2013 – Az: 5 U 92/12) zeigt, dass auch die Haftungsgefahr nicht unterschätzt werden darf, wenn unkritisch Vorgaben eines Arztes übernommen werden. In der Entscheidung verurteilte das Gericht einen Apotheker gemeinsam mit dem behandelnden Arzt zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 200.000,00 EUR wegen der fehlerhaften Verordnung und Abgabe eines Arzneimittels, das für den Patienten im Einzelfall gefährlich war.

Im konkreten Fall hatte ein Säugling im Alter von einem Monat mit einem Down-Syndrom und einem Herzfehler auf Veranlassung des erstbehandelnden Krankenhauses ein Arzneimittel mit dem Wirkstoff Metildigoxin (Lanitop) erhalten sollen. Auf der Medikamentenliste des Krankenhauses war die Dosierung mit „2x1 gtt“  angegeben. Durch ein Versehen in der Arztpraxis kam die Mutter des Jungen mit der Verordnung „Lanitop 50 Tbl.“ in die Apotheke. Die Medikamentenlisten mit Dosierungsangaben lag der Apotheke vor. Der Mitarbeiterin in der Apotheke, in der Mutter und Kind bereits bekannt waren, fiel auf, dass die Darreichungsform „Tablette“ nicht für die Verabreichung an einen Säugling geeignet war. Die Mitarbeiterin empfahl der Mutter daher, die Tabletten aufzulösen und dem Kind einzuflößen.

Der Säugling erhielt 4 Tage lang morgens und abends eine aufgelöste Tablette. Es traten Krämpfe und hohes Fieber, verbunden mit einem aufgeblähten Magen auf. Im Krankenhaus kam es zu einem Herzstillstand; das Kind musste 50 Minuten reanimiert werden. Bei dem kleinen Jungen liegt inzwischen ein erheblicher Entwicklungsrückstand vor. Im Alter von fünf Jahren war er noch nicht in der Lage zu sprechen, zu laufen oder selbständig zu essen. In jedem Fall hat der Junge eine Digitalisvergiftung erlitten. Ob die darüber hinausgehenden Schäden durch diese ausgelöst wurden, konnte nicht abschließend geklärt werden.

Das Gericht stellt fest, dass der Apotheker bei fehlerhafter Abgabe eines Arzneimittels oder mangelnder Information des Käufers aus dem Beratungsvertrag schadensersatzpflichtig sind. Bereits ein normaler Verkäufer habe vertragliche wie deliktische Warn- und Hinweispflichten im Hinblick auf den Kaufgegenstand. Einen Apotheker treffe darüber hinaus auch eine berufsrechtliche Beratungspflicht für die von ihm abgegebenen Arzneimittel. Auch wenn eine ärztliche Verordnung vorliege, müsse sich der Apotheker eigene Gedanken über die Richtigkeit und Sinnhaftigkeit der Verordnung machen. Im Zweifel müsse er Rücksprache mit dem Arzt halten. Bei unkritischer Befolgung der ärztlichen Verordnung und Abgabe eines gefährlichen Arzneimittels könnte der Apotheker daher sorgfaltspflichtwidrig handeln und schadensersatzpflichtig werden.

Die fehlende Beweisbarkeit, ob die bei dem Kind eingetretenen Schäden, auf die Digitalisvergiftung zurückzuführen sind, wirkte sich im Prozess gegen den Apotheker zu dessen Nachteil aus: Weil das Gericht den Fehler des Apothekers – wie auch des Arztes – als besonders schwerwiegend einstufte, wurde eine Beweislastumkehr zu Lasten des Apothekers angenommen. Arzt und Apotheker müssen bei potentiell gefährlichen Arzneimitteln besonders sorgfältig sein.

Während im Normalfall bei Schadensersatzprozessen der Patient beweisen muss, dass ein Schaden ursächlich auf ein bestimmtes schädigendes Ereignis zurückgeht, kehrt sich diese Situation bei besonders schwerwiegenden ärztlichen Fehlern um. Dann muss der Arzt beweisen, dass kein Zusammenhang besteht, um nicht schadensersatzpflichtig zu werden. Die entsprechende Anwendung dieser Beweislastgrundsätze nahm das OLG Köln aktuell auch zu Lasten des Apothekers an: Wenn einem Apotheker ein besonders schwerwiegender Fehler unterlaufe, der schlichtweg nicht hätte passieren dürfen, müsse dies für den Patienten auch zu einer Beweislasterleichterung gegenüber dem Apotheker führen.

Beweislastumkehr auch bei schwerer Pflichtverletzung eines Apothekers:

Bei einem besonders gravierenden Verstoß eines Apothekers gegen seine Warn- und Beratungsfunktion, muss der Apotheker beweisen, dass im Verlauf eingetretene Schäden, nicht auf eine durch sein Fehlverhalten ausgelöste Schädigung zurückzuführen sind. Dies ist im Schadensersatzprozess ein ganz erheblicher Nachteil, weil die ursächliche Verknüpfung von Schäden häufig nicht zu 100% beweisbar ist.

 Als Apotheker muss man sich zur Verhinderung vergleichbarer Schadensersatzverpflichtungen die Konsequenz dieser Rechtsprechung bewusst machen:

Auch einem Arzt können Fehler unterlaufen. Ein „blindes Vertrauen“ in eine ärztliche Verordnung darf es nicht geben. Insbesondere wenn wichtige Parameter der Verordnung nicht zu den persönlichen Daten des Patienten passen, muss Rücksprache mit dem Arzt gehalten werden. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn die Darreichungsform nicht zum Alter des Patienten oder das Geschlecht nicht zum verordneten Wirkstoff passt. Gleiches gilt, wenn die vom Patienten geschilderte Erkrankung nicht mit dem Wirkstoff in Einklang zu bringen ist. Gerade bei solchen offensichtlichen Unstimmigkeiten muss der Apotheker reagieren. Die Abgabe des Arzneimittels darf dann nicht erfolgen, bevor die Unklarheiten durch Rücksprache mit dem Arzt beseitigt sind.

Wie schütze ich mich vor Schadensersatzforderungen bei der Arzneimittelabgabe:

Kritische Bewertung der ärztlichen Verordnung:

Passt der Wirkstoff zum Geschlecht des Patienten?

Ist die Darreichungsform mit dem Alter des Patienten kompatibel?

Ist die angeordnete Dosierung plausibel ?

Werfen persönliche Schilderungen des Käufers Widersprüche auf?

Bestehen andere offensichtliche Widersprüche bei der Verordnung?

Schließlich kann auch wenn keine Person zu Schaden kommt, die Abrechnungsfähigkeit zu Lasten der GKV gefährdet sein, wenn ein Arzneimittel trotz bestehender Unstimmigkeiten an den Kunden abgegeben wird.

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IK